Nach Gesprächen mit der Wettbewerbskommission gehen wir gemeinsam mit Tata Steel seit dem 10. Mai 2019 davon aus, dass das geplante Joint Venture unserer europäischen Stahlaktivitäten aufgrund der weiter fortbestehenden Bedenken der Kommission nicht zustande kommen wird.
Mit dem erwarteten Nichtzustandekommen des Stahl-Joint-Ventures hat unser Vorstand die strategischen Optionen für das Unternehmen neu bewertet und wird dem Aufsichtsrat vorschlagen, die geplante Teilung in zwei eigenständige, unabhängige Unternehmen abzusagen.
Wir werden stattdessen ein neues thyssenkrupp bauen, um die operative Leistungsfähigkeit entscheidend zu verbessern. Dazu wird unser Vorstand dem Aufsichtsrat im Rahmen dieser neuen Strategie auch einen Börsengang von Elevator Technology vorschlagen.
Wieso braucht es eine neue Strategie?
Das Nichtzustandekommen des Joint Ventures und die damit verbundene Rücknahme des Stahls ist ein Anlass für uns, die strategische Ausrichtung des Konzerns grundsätzlich zu überprüfen. Dazu kommt, dass die Performance der Geschäfte nicht zufriedenstellend ist, was auch an einer sich eintrübenden Weltwirtschaft liegt. Unser Aktienkurs ist zudem seit 2018 um 40 Prozent gesunken und hat damit vergangenen Mittwoch ein 15-Jahres-Tief erreicht. Wir müssen ehrlich sein: Unter diesen Rahmenbedingungen ist eine Teilung nicht mehr die beste Lösung für thyssenkrupp. Den von uns beabsichtigten Neustart bekommen wir so nicht mehr hin.
Wie genau sieht die neue Strategie für den thyssenkrupp Konzern aus?
Wir werden die Strategie grundlegend neu aufstellen. Das wird der Vorstand dem Aufsichtsrat nun vorschlagen. Ohne Tabus und in Anerkennung der neuen Umstände. Wir müssen ein komplett neues thyssenkrupp aufbauen. Dabei folgen wir drei Prinzipien:
1) Die Performance unserer Geschäfte zu verbessern hat oberste Priorität. Unser Anspruch ist es, Geschäfte zu führen, die zu den besten in ihren jeweiligen Märkten gehören.
2) Unseren Erfolg messen wir künftig daran, dass sich die Geschäfte bestmöglich entwickeln – nicht zwingend daran, dass sie uns mehrheitlich gehören. Das Management der Geschäfte erhält mehr unternehmerische Freiheit als je zuvor in der Geschichte von thyssenkrupp.
3) Wir werden ein grundlegend neues Organisations- und Führungsmodell entwickeln, das die Leistungsstärke unserer Beschäftigten in den Mittelpunkt stellt. Das betrifft alle Einheiten und alle Ebenen. Die Holding werden wir schlank aufstellen und die Verwaltungskosten im gesamten Konzern deutlich reduzieren.
Das funktioniert nur, wenn wir gleichzeitig unsere Kapitalbasis stärken. Deshalb planen wir, unser Aufzuggeschäft an die Börse zu bringen. Das ist ein mutiger und wichtiger Schritt für Elevator, aber auch für thyssenkrupp als Ganzes. Das Kapital aus dem Börsengang werden wir dazu nutzen, den nötigen Konzernumbau weiter voranzutreiben.
Seit acht Monaten arbeiten wir unter Hochdruck an der Teilung – und jetzt diese Kehrtwende?
Uns ist natürlich vollkommen klar, dass die Entscheidung neue Fragen und Unsicherheiten aufwirft. Zu unserer Verantwortung gehört es aber: Wenn sich grundlegende Parameter ändern, dann schulden wir es unseren Mitarbeitern, Kunden und Aktionären, die Situation neu zu bewerten. Und vor allem das Richtige zu tun.
Wird es zu Stellenabbau kommen?
Um die oben beschriebenen Ziele zu erreichen, ist der Abbau von 6.000 Stellen notwendig. Ähnlich wie bei der Teilung streben wir auch für diese strategische Neuausrichtung eine Einigung mit den Arbeitnehmervertretern an. Die Gespräche hierzu wurden bereits aufgenommen und eine Grundlagenvereinbarung erzielt. Unser Anspruch ist es wie bisher, diese Veränderungen mit unseren Mitarbeitern zu gestalten und nicht gegen sie.
Was ist der Hintergrund zum Nichtzustandekommen des JV?
Der Vollzug des Joint Ventures (das so genannte Closing) stand unter dem Vorbehalt der Freigabe durch die zuständigen Wettbewerbsbehörden, unter anderem in der Europäischen Union.
Die Wettbewerbskommission in Brüssel prüft seit einigen Monaten das geplante Joint Venture. Untersucht wird, ob der geplante Zusammenschluss zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen im europäischen Stahlmarkt führt, etwa durch zu große Marktanteile in einzelnen Markt- oder Produktbereichen.
Die Kommission hatte im Rahmen dieses Fusionskontrollverfahrens bei verschiedenen Produktgruppen wettbewerbsrechtliche Bedenken geäußert.
Gemeinsam mit Tata Steel hatten wir daraufhin ein Paket an Lösungsvorschlägen eingereicht, um die Bedenken der Wettbewerbsbehörde auszuräumen. Das bedeutet, dass beide Partner – im Falle der Genehmigung des Joint Ventures – einzelne Anlagen aus dem geplanten Verbund herausgelöst hätten.
Welche Bedenken hatte die Europäische Kommission?
Die Wettbewerbskommission hatte die von uns vorgeschlagenen Nachbesserungen der eingereichten Zusagen zum Anlass genommen, einen weiteren Markttest durchzuführen.
Die erneute Marktbefragung hat die Bedenken der Kommission, unter anderem im Bereich Verpackungsstahl, nicht ausräumen können, obwohl wir signifikante weitere Zugeständnisse angeboten hatten.
Waren die angebotenen Zusagen zu niedrig?
Gemeinsam mit Tata Steel haben wir auf die Bedenken der Kommission mit einem umfassenden Angebot an Zugeständnissen reagiert. Weitere Zusagen oder Nachbesserungen hätten aus unserer Sicht die angestrebten Synergieeffekte des Zusammenschlusses in einem Umfang beeinträchtigt, dass die wirtschaftliche Logik des Joint Ventures nicht mehr gegeben wäre.
Der Kommission hat das aber nicht gereicht. Sie sieht im Joint Venture eine unzulässige Einschränkung des Wettbewerbs. Wir teilen diese Einschätzung nicht und bedauern die Haltung der Kommission sehr.
Wie geht es jetzt weiter im Stahlbereich?
Fest steht, dass der Stahlbereich nun wieder Teil des thyssenkrupp-Konzerns ist. Ohne das Joint Venture werden wir nun aus eigener Kraft auf die vielfältigen Herausforderungen im Stahlmarkt reagieren müssen, um das Geschäft zukunftssicher aufzustellen. Wie das genau aussehen wird, erarbeitet der Konzernvorstand nun gemeinsam mit dem Vorstand und den Arbeitnehmervertretern im Stahlbereich.